Die halbe Hauptstadt
Das ist Berlin. Die Hauptstadt der DDR. Die halbe Stadt. Wie ein halbes Hähnchen. Wir sagen Broiler. Mit Pommes. Auf Spießen hinter fettigem Glas. Man muss sie mit den Händen essen. Mit Messer und Gabel essen nur die Ferkel.
Ich zittere unter der Decke. Nebenan schnarchen die Eltern. Mir ist übel. Ich bin vielleicht vierzehn. (Ein großer Junge.) Ich zähle. Ich weiß: Wenn ich zähle geht es mir besser. An der Decke huschen die Lichter vorbei. Das ist Berlin. Wie ein halber Broiler. Wo ist der Fernsehturm. Dort gab es Hühnerfrikassee. Das weiße Fleisch schwamm in einem Ring aus Reis. Dazu Erbsen. Auf einem Extrateller. Der Fernsehturm dreht sich. (Guckt mal, da muss der Kuhdamm sein. Wo?) Dreht sich so langsam, dass man es gar nicht merkt. Mir wird schwindelig, weil sie mir das mit dem Drehen gesagt haben. Meine Eltern bestellen Rouladen.
Es fühlt sich anders an in Berlin. Anders als in Erfurt. Durch Erfurt fließt die Gera und es gibt Fachwerk. Im Winter wandern Schulklassen durch den Wald. Kastanien sammeln. Kastanien füttern. Ich habe noch nie einen Hirsch gesehen. Nur seine Scheiße. Wir nennen die Kügelchen Norpeln. Und klennern. Wir klennern. Das heißt: schlittern. Über zugefrorene Pfützen. Und wenn man erwischt wird, wird man an den Ohren gezogen. Oder man holt sich blaue Flecken wie Orden.
Auf dem Berliner Weihnachtsmarkt habe ich einen Spielzeugtruck gewonnen. Aus Blech und mit roten und blauen Streifen. Und man kann ihn lenken, mit einem Hebel über dem Fahrerhäuschen. Alle haben mich um meinen Gewinn beneidet. Ich hab das nicht verstanden. Da war ich noch zu klein. Das war vor Jahren. Jetzt liege ich in dem Hotel. Unter den Linden. Warum überhaupt Linden. Buchen sind auch schön. Die sind nicht so traurig. Mir ist übel.
Draußen donnern Straßenbahnen vorbei. Wie in Erfurt. Nur viel weiter weg. Gedämpft. Beruhigend. Nicht so hektisch wie in der halben Hauptstadt.
Am nächsten morgen gehen wir auf die Messe. Bunte Gegenstände. Technische bunte Gegenstände. Zu komplex für einen Vierzehnjährigen. Dabei interessiert es mich bloß nicht. Der riesige Dinosaurier im Pergamon interessiert mich mehr. Obwohl es doch nur Knochen sind. Und Naturkunde. Mit ausgestopften Tieren. Zu einem Still-Leben angeordnet. Hinter den Tieren sind schöne Landschaften an die Wand gemalt. Der Vierzehnjährige strahlt. Mir ist immer noch übel.
Abends im Theater. Schauspieler fliegen über die Zuschauer. Oh und Ah. Sie hängen an Seilen. Wie im Zirkus. Alle singen. Ich staune und sehe barbusige Frauen. Die Brustwarzen sind angemalt. Lila. Das ist also das halbe Berlin. Lila Brustwarzen und Ohs und Ahs.
Es geht mir besser. Ich habe gezählt. Einbildung, sagt die Mutter. Der Vater lacht. Ich glaube ihr. Mir ist trotzdem übel.
Wieder in Erfurt. Wieder mein Zimmer. Wieder die gedämpfte Straßenbahn. Alles ist leiser. Die Autos. Die Lichter an der Decke und die Menschen mit den Anoraks. Geht nicht nach Berlin. Bleibt da, wo es ruhig ist. Sollen sie doch. Sollen sie doch.
Ich zittere unter der Decke. Nebenan schnarchen die Eltern. Mir ist übel. Ich bin vielleicht vierzehn. (Ein großer Junge.) Ich zähle. Ich weiß: Wenn ich zähle geht es mir besser. An der Decke huschen die Lichter vorbei. Das ist Berlin. Wie ein halber Broiler. Wo ist der Fernsehturm. Dort gab es Hühnerfrikassee. Das weiße Fleisch schwamm in einem Ring aus Reis. Dazu Erbsen. Auf einem Extrateller. Der Fernsehturm dreht sich. (Guckt mal, da muss der Kuhdamm sein. Wo?) Dreht sich so langsam, dass man es gar nicht merkt. Mir wird schwindelig, weil sie mir das mit dem Drehen gesagt haben. Meine Eltern bestellen Rouladen.
Es fühlt sich anders an in Berlin. Anders als in Erfurt. Durch Erfurt fließt die Gera und es gibt Fachwerk. Im Winter wandern Schulklassen durch den Wald. Kastanien sammeln. Kastanien füttern. Ich habe noch nie einen Hirsch gesehen. Nur seine Scheiße. Wir nennen die Kügelchen Norpeln. Und klennern. Wir klennern. Das heißt: schlittern. Über zugefrorene Pfützen. Und wenn man erwischt wird, wird man an den Ohren gezogen. Oder man holt sich blaue Flecken wie Orden.
Auf dem Berliner Weihnachtsmarkt habe ich einen Spielzeugtruck gewonnen. Aus Blech und mit roten und blauen Streifen. Und man kann ihn lenken, mit einem Hebel über dem Fahrerhäuschen. Alle haben mich um meinen Gewinn beneidet. Ich hab das nicht verstanden. Da war ich noch zu klein. Das war vor Jahren. Jetzt liege ich in dem Hotel. Unter den Linden. Warum überhaupt Linden. Buchen sind auch schön. Die sind nicht so traurig. Mir ist übel.
Draußen donnern Straßenbahnen vorbei. Wie in Erfurt. Nur viel weiter weg. Gedämpft. Beruhigend. Nicht so hektisch wie in der halben Hauptstadt.
Am nächsten morgen gehen wir auf die Messe. Bunte Gegenstände. Technische bunte Gegenstände. Zu komplex für einen Vierzehnjährigen. Dabei interessiert es mich bloß nicht. Der riesige Dinosaurier im Pergamon interessiert mich mehr. Obwohl es doch nur Knochen sind. Und Naturkunde. Mit ausgestopften Tieren. Zu einem Still-Leben angeordnet. Hinter den Tieren sind schöne Landschaften an die Wand gemalt. Der Vierzehnjährige strahlt. Mir ist immer noch übel.
Abends im Theater. Schauspieler fliegen über die Zuschauer. Oh und Ah. Sie hängen an Seilen. Wie im Zirkus. Alle singen. Ich staune und sehe barbusige Frauen. Die Brustwarzen sind angemalt. Lila. Das ist also das halbe Berlin. Lila Brustwarzen und Ohs und Ahs.
Es geht mir besser. Ich habe gezählt. Einbildung, sagt die Mutter. Der Vater lacht. Ich glaube ihr. Mir ist trotzdem übel.
Wieder in Erfurt. Wieder mein Zimmer. Wieder die gedämpfte Straßenbahn. Alles ist leiser. Die Autos. Die Lichter an der Decke und die Menschen mit den Anoraks. Geht nicht nach Berlin. Bleibt da, wo es ruhig ist. Sollen sie doch. Sollen sie doch.
Danny Shapiro - 26. Mai, 21:17